RÜCKBLICK 2021
Risiken und Chancen für den Bevölkerungsschutz am Beispiel einer Pandemie
Auch 2021 ist der Bevölkerungsschutz noch intensiv mit den Herausforderungen rund um die Bewältigung von und den Umgang mit Covid-19 beschäftigt. Denn nicht nur die Politik, sondern auch alle Einsatzkräfte und die Bevölkerung als Ganzes mussten Maßnahmen und Konzepte für den Umgang mit einer Pandemie entwickeln. Die 4. CP-Konferenz fand pandemiebedingt am 4. und 5. März 2021 als virtuelle Veranstaltung statt. Zwei Tage lang drehte sich alles um die Themen Risiken und Chancen für den Bevölkerungsschutz am Beispiel einer Pandemie.
Wie auch bei vorherigen Veranstaltungen führte Dipl.-Ing. Benno Fritzen (Leitender Branddirektor a. D.) gewohnt charmant durch die zwei Tage der CP-Konferenz. Den Beginn der Veranstaltung läutete Heike Lange (Verlegerin) mit einer kurzen Vorstellung der Inhalte und Referenten ein. Direkt im Anschluss wurden Eröffnungsansprachen von Stephan Mayer (Parl. Staatssekretär, BMI) und Dr. Thomas Gebhart (Parl. Staatssekretär, BMG) aus der Politik gehalten. Stephan Mayer lieferte mit einigen Grundsatzfragen – Was können wir lernen? Wie können wir uns besser schützen? – die sowohl während als auch nach der Pandemie eine Rolle spielen, erste Denkanstöße für die kommenden Vorträge. Dr. Thomas Gebhart schlug daraufhin den Bogen zur Konzeption zivile Verteidigung (KZV) und wies eindrücklich auf die Risiken und Herausforderungen hin, die verschiedene Zuständigkeiten bei einem Bund-Länder-Pandemieplan mit sich bringen können.
Im ersten Themenblock wurde die Covid-19-Pandemie im Jahr 2020 aus Blickwinkeln der Behörden und Krisenstäbe, sowie der Einsatzkräfte in Hilfsorganisationen untersucht. Den Einstieg lieferten Dr. Wolfram Geier (Abteilungsleiter Risikomanagement, Internationale Angelegenheiten, BBK) und Dr. Gesa Lücking (Stellv. Referatsleiterin 611, BMG) mit einem Rückblick auf die LÜKEX 2007 und die Risikoanalyse 2012. Die Forschungsergebnisse lieferten bereits Erkenntnisse, die in großen Teilen mit der aktuellen Lage übereinstimmen. Die daraus resultierenden Verbesserungsvorschläge zeigen, dass das Ressourcenmanagement und die Entwicklung eines Lagebildes im Fokus stehen sollten. Das Resümee von Dr. Wolfram Geier: „Die Risikoanalysen dürfen nicht nur zum Selbstzweck durchgeführt werden, sondern müssen ein integraler Bestandteil des Gesamtprozesses werden.“ Der Ansatz ist auf andere Behörden und Organisationen übertragbar, denn auch die Stabsarbeit im BMG hat Rahmenkonzepte, die einer entsprechenden Weiterentwicklung bedürfen, wie Dr. Gesa Lücking in ihrem Vortrag ergänzte. Auf den Punkt gebracht sagte Dr. Gesa Lücking: „Krisen halten sich nicht an Planungen.“
Organisatorische und strukturelle Erfahrungen speziell mit den Zuständigkeiten während der Covid-19-Pandemie standen in der anschließenden Podiumsdiskussion im Mittelpunkt. Die Vorteile und Grenzen des Föderalismus wurden von Sebastian Hartmann (Mitglied des Innenausschusses, SPD), Michael Kuffer (CDU/CSU), Ralph Lenkert (Umweltpolitischer Sprecher, Die Linke Thüringen) und Dr. Janosch Dahmen (Fraktion Bündnis 90/ die Grünen) diskutiert. In der Diskussion kristallisierte sich heraus, dass die vorhandenen Ressourcen verstärkt genutzt werden sollten und besonders die Vorsorge noch Potenziale bietet, um das Miteinander in einer Krise zu verbessern. Der gemeinsame Nenner im Bevölkerungsschutz ist und bleibt die Zusammenarbeit und Vernetzung, was auch von der Politik erkannt wird. Auch wenn die Frage nach den Zuständigkeiten hier vermehrt aufkommt, so liegt der eigentliche Fokus doch auf der Frage, wie eine schnelle und effiziente Herangehensweise mit Hilfsmitteln und Absprachen am besten organisiert werden kann.
Bedarfe und Ressourcenmanagement standen im Vortrag von Jürgen Schreiber (Generalsekretär, DGKM e. V.) im Vordergrund. Die Risiken bei einer erheblichen Bedarfssteigerung für die Ressourcen wurden hervorgehoben und zusammengefasst. „Speziell an Versorgungszentren muss gearbeitet werden, damit die Unterstützungsfunktionen auch laufen können“, forderte Jürgen Schreiber.
Eine Analyse von KRITIS und der Definition des Begriffes lieferte Dr. Julia Höller (BBK) im Vortrag rund um die neue Aufmerksamkeit für die Begrifflichkeit. Anhand von Erläuterungen zeigte sich, dass auch hier eine dynamische Lageentwicklung stattfindet, die Auswirkungen auf KRITIS hat. Fazit: Eine Stärkung und weitere Umsetzung des Krisenmanagements in diesem Bereich wären der Resilienz durchaus förderlich.
Ausgehend von der Resilienz der Bevölkerung gibt es einen großen Doppelnutzen der KZV für den Bevölkerungsschutz. Zum Beispiel lassen sich die Elemente der zentralen Steuerung aus dem KZV Bereich auch auf die Koordination im Bevölkerungsschutz während einer Pandemie anwenden und die MANV-Ergebnisse sind ebenfalls auf die aktuelle Lage übertragbar, stellten Guilio Gullota (Abteilungsleiter Wissenschaft & Technik, BBK) und Dr. Barbara Kowalzik (Referatsleiterin Referat III.3 Schutz der Gesundheit, BBK) im Dialog in einem Videovortrag fest. Hier liegen die Bausteine bereits parat und müssen nur auch entsprechend angewendet werden.
Die Konsequenzen für den Bevölkerungsschutz aus der praktischen Bewältigung der Covid-19-Pandemie wurden in der zweiten Podiumsdiskussion von Christian Reuter (Generalsekretär, DRK), Dr. Kay Ruge (Beigeordneter Deutscher Landkreistag) und Armin Schuster (Präsident, BBK) thematisiert. Christian Reuter betonte die strukturellen Schwächen, die durch die Pandemie wieder deutlich geworden sind. Speziell die Aufrüstung und Bevorratung erfordert weitere Maßnahmen, um zukünftigen Herausforderungen gewachsen zu sein. „Nach der Krise ist vor der Krise“, bekräftigte Christian Reuter. Die Frage nach den Zuständigkeiten holte Dr. Kay Ruge wieder in den Fokus, da gerade aus dem politischen Blickwinkel hier ein Schlüsselaspekt liegt. Armin Schuster nannte als eine Priorität, dass der Blick auf Krisen angepasst werden sollte. Es sind neue Betrachtungsweisen notwendig, um sich weiterzuentwickeln und die Kompetenzen zu verbessern. Einigkeit herrschte bei der Diskussion, wenn es um den weiteren Ausbau und die Stärkung der Zusammenarbeit und Vernetzung ging.
Den zweiten Themenblock startete und moderierte Oberst i. G. Armin Schaus (Leitdozent Nationale Operationsführung, Bundeswehr) mit einer Einführung in die gesamtstaatliche Krisenbewältigung im Kontext der Pandemie. Götz Ulrich (Landrat Burgenlandkreis) lieferte mit seinem Vortrag über die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung im Landkreis „Burgenland“ ein Beispiel für das Krisenmanagement. Anhand seiner detaillierten Beschreibung der durchgeführten Maßnahmen und Aufgaben verdeutlichte Götz Ulrich, wie eine erfolgreiche Lagebewältigung in Zusammenarbeit mit der Bundeswehr funktioniert hat.
Einen anderen Blickwinkel lieferte Michael Sasse (Referat 21, Bundespolizeipräsidium), indem er die Herausforderungen der Pandemielage aus Sicht einer Sicherheitsbehörde des Bundes beleuchtete. Die schnelle Bildung eines Krisenstabs und die dadurch strukturierte Koordination ermöglichte die Einsatzregelung. Michael Sasse fasste diese zusammen und stellt sie der erfolgreichen Bewältigung im Einsatz gegenüber. Hier zeigte sich, dass die erfolgreiche Koordination der Einsatzkräfte einen essenziellen Beitrag zur Krisenbewältigung geleistet hat. Aus diesem Grund sollten zukünftige Konzepte die personellen Auslastungen sowohl psychisch als auch physisch verstärkt in den Fokus nehmen.
Die Einsatzbetreuung der Bundeswehr während Covid-19 wurde von Generalmajor Carsten Breuer (Kommandeur des Kommandos Territoriale Aufgaben der Bundeswehr) in einem Rückblick vorgestellt. Generalmajor Carsten Breuer betonte: „Brücken bauen zur Unterstützung – das ist unsere Stärke.“ Besonders die robuste Führungsstruktur lieferte eine Basis, die eine effiziente zivil-militärische Zusammenarbeit ermöglichte. Generalarzt Dr. Bruno Most (stellv. Kommandeur Kommando Sanitätsdienstliche Einsatzunterstützung der Bundeswehr) legte den Fokus auf die Strukturen des Sanitätsdienstes der Bundeswehr. Denn der Sanitätsdienst der Bundeswehr hat sich speziell bei dem Bedarf nach qualifiziertem Personal für die Gesundheitseinrichtungen, als eine zuverlässige und schnell einsatzfähige Quelle erwiesen.
In der anschließenden Podiumsdiskussion zwischen Generalmajor Carsten Breuer, Generalarzt Dr. Bruno Most, Götz Ulrich und Michael Sasse wurde klar, dass es vor allem auf die enge und gut koordinierte Zusammenarbeit ankommt. Der Konsens ist: Alle Beteiligten müssen im engen Schulterschluss die Pandemie bekämpfen. Hier spielen viele unterschiedliche Faktoren eine Rolle, die berücksichtigt werden müssen. Dazu gehört die Ausstattung der Mitarbeiter, Vernetzung mit Hilfsorganisationen und anderen Behörden, genauso wie die Verbesserung von Qualifikationen und die Weiterentwicklung im Ressourcenmanagement.
Der zweite Veranstaltungstag begann mit einer Begrüßung durch Christian Seel (Staatssekretär, Ministerium für Inneres, Bauen und Sport Saarland), in der die Problemstellung der Krise – Was können wir tun, um die Bevölkerung ausreichend für zukünftige Krisen zu sensibilisieren? - noch einmal auf den Punkt gebracht wurde. Auch wenn durch die Pandemie die Bevölkerung momentan für die Analyse und Durchführung von praxisnahem Krisenmanagement sensibilisiert ist, so besteht doch die Gefahr wieder in „alte Muster“ zu verfallen. Hier müssen Maßnahmen erarbeitet und auch zukünftig durchgeführt werden, damit die Menschen auch weiterhin vorbereitet sind und eine konstruktive Herangehensweise an Krisen gewährleistet werden kann.
Der dritte Themenblock wurde von Frank Roselieb (Geschäftsführender Direktor des Krisennavigator-Instituts für Krisenforschung) eröffnet und zeigte mit deutlichen Worten, wie Krisenbewältigung funktioniert. Die Bedeutsamkeit der Krisenforschung und die daraus resultierenden Verbesserungspotenziale zeigen klar auf, dass besonders die Marktwirtschaft noch besser genutzt werden muss. So besteht besonders bei der digitalen Krisenkommunikation noch ein großes Potenzial zur Verbesserung.
Frau Dr. Gesine Hofinger Hofinger (Künzer & Mähler PartG Team HF - Human Factors Forschung Beratung Training) stellte anschließend die Pandemie als "schleichende Krise" dar und schilderte den nicht zu unterschätzenden Umgang mit Komplexität und Dynamik aus psychologischer Sicht.
Die Funktionen und Mittel der sozialen Medien dürfen in Krisensituationen nicht unterschätzt werden. Denn in der digitalisierten Zeit, die durch die Pandemie noch einmal stark nach vorne getrieben wurde, gilt es vermehrt die Gefahren durch Fake-News und Desinformationen zu beachten. Holger Junker (Referatsleiter, BSI) zeigte neben den Entwicklungen im Bereich von Cybercrime, die verschiedenen Vorgehensweisen und Werkzeuge, die zur Verbreitung genutzt werden auf. Speziell die Zusammenarbeit mit der Industrie sollte in den Umgang und die Arbeit mit sozialen Medien im Bevölkerungsschutz einbezogen werden, da hier noch viele ungenutzte Potenziale stecken.
Dipl.-Ing. Jochen Stein (Leitender Städtischer Branddirektor der Berufsfeuerwehr Bonn), Björn Stahlhut (kommissarischer Teamleiter Gesundheitlicher Bevölkerungsschutz und Rettungsdienst, DRK) und Volker Strotmann (Abteilungsleiter Einsatz, Bundesanstalt THW) zeigten, dass sowohl bei der Feuerwehr als auch bei Hilfsorganisationen die Zusammenarbeit unter pandemiebedingten Zuständen funktioniert hat. Das gemeinsame Fazit: die Aspekte der logistischen und personellen Herausforderungen basieren auf einer konzeptionell vorbereiteten und strukturiert durchgeführten Zusammenarbeit.
In der letzten Podiumsdiskussion ging es um die Vorbereitungen auf die nächste Krise. Dr. Wolfram Geier, Eric Schaefer (Abteilungsleiter Brand- und Katastrophenschutz, Ministerium des Innern und für Sport Rheinland-Pfalz) und Generalmajor Wilhelm Grün (SKB) diskutierten über die Erfolge, Herausforderungen und „lessons learned“ Maßnahmen für die Zukunft. Es wurde deutlich, dass ein konsolidiertes Lagebild und eine gemeinsame Datenbasis dringend erforderlich sind.
Insgesamt zeigte sich bei den verschiedenen Blickwinkeln auf die Covid-19-Lage, dass der Bevölkerungsschutz die richtigen Ansätze hat und verfolgt, auch wenn noch ungenutzte Potenziale vorhanden sind. Der Wunsch nach einem gesamtheitlichen Ansatz, der sich in einem Lagebild und klar definierten Zuständigkeiten verfestigen sollte, muss weiterentwickelt und umgesetzt werden. Ein Startpunkt, der bereits mit dem EU-Projekt „rescEU stockpiling“ angegangen wird, ist hier die Bevorratung, die sowohl logistisch als auch personell umgesetzt werden muss. Wie sich die erforderliche Vernetzung und Zusammenarbeit entwickeln und was für Maßnahmen noch kommen werden bleibt abzuwarten. Erste Ergebnisse werden vielleicht schon bei unserer nächsten CP-Konferenz 2022 zur Diskussion vorliegen – wir freuen uns auf den Austausch.